Freude an der Sprache
Freude ist die allererste Regung, die das Kind der Sprache entgegenbringt. Auch wo die Sprache dem Erwachsenen bereits zur Konvention geworden ist – das Kind greift die Floskel genussvoll auf und imitiert, zunächst ohne begriffliches Verständnis, den innewohnenden Gestus. Hier beginnt die Integration. Sie hat an dieser Stelle nichts zu tun mit dem Wiedererkennen einer Wortbedeutung, oder der Funktion des Gedächtnisses, sondern ist unmittelbare Verbindung mit dem Genius der Sprache. Wenn der Erwachsene nun keinen Fehler macht, wenn er sich nicht hinreißen lässt, ein „Sprachtagebuch“ oder ähnliches zwischen Kind und Sprache zu stellen, sondern sich mit dem Kind unmittelbar der Sprache zuwendet, selbst den Reiz des Klanges, den Witz im Rhythmus wieder entdeckt, der Sprache vor allem auch die Liebe und Achtung entgegenbringt, die sie als Bewahrer der Taten und Leiden eines Volkes verdient, dann kann nichts und niemand das Kind daran hindern, allmählich ganz in der Sprache aufzugehen.
Die Art, wie der Lehrer sich zur Welt stellt, wirkt auf das Kind. Denn das Kind ist, bis in die feinsten Regungen des Erwachsenen hinein, ein Nachahmer. Und wenn der Lehrer ein ehrliches Interesse für die Kulturwelt von Kind und Eltern zeigt, wird das Kind seinerseits Interesse an der Kulturwelt des Lehrers entwickeln können. Es gibt deshalb ein ausgezeichnete Mittel für Erhalt und Verbreitung der deutschen Sprache: das Erleben eines erwachsenen Menschen, der einerseits der Muttersprache des Kindes bedingungslose Anerkennung, Achtung und Liebe entgegenbringt, und sich andererseits so tief mit der deutschen Sprache verbindet, dass der Funke der Begeisterung auf das Kind überspringen kann. Wo dagegen die deutsche Sprache dem Lehrer gerade mal so viel wert ist, dass er Kopien aus den Vorlagen der Bildungsindustrie verteilen kann, prägt diese Lieblosigkeit gegenüber der deutschen Sprache für ein Leben lang – um so mehr dort, wo sie mit einer spürbaren Ablehnung der „fremden“ Sprache und der Forderung nach Zwangsmassnahmen einhergeht.
Wer wirksam für die Integration eintreten will, muss die Kultur, die er dem Kind nahe bringen möchte, in ihren geistigen Tiefen erkennen und lieben lernen. Denn die Haltung des Erwachsenen wirkt erzieherisch auf das Kind, auch dann, wenn der Erwachsene sich über die eigene Gesinnung täuscht. Von einer „Deutschpflicht“ auf dem Pausenhof oder ähnlichem sieht die Freie Interkulturelle Waldorfschule Berlin deshalb bewusst ab. Zum einen ändert ein Verbot der Muttersprache nichts an der Tatsache, dass zwischen Muttersprachlern eine tiefere Verbindung besteht. Diese lebt sich dann nur eben verdeckt aus. Zum anderen ist der Einigung der Völker nicht gedient, wenn die Tatsache ihrer Trennung bloß kaschiert wird. Dass verschiedene Sprachen verschiedene Gruppen entstehen lassen, und also immer zugleich auch trennen, während sie auf der einen Seite verbinden, soll in der Freien Interkulturellen Waldorfschule Berlin gerade zu einem bewussten Erlebnis werden.
Die gemeinsame Sprache verbindet Individuen instinkthaft zu Völkern. Völker jedoch können nicht wiederum instinkthaft zusammenfinden. Die Antwort auf die Frage nach der Völkerverständigung muss vielmehr als eine bewusste, willentliche Anerkennung der „fremden“ Kulturgewohnheiten vollzogen werden. Die Freie Interkulturellen Waldorfschule Berlin ergreift deshalb nicht nur die verbindende, sondern gerade auch die trennende Funktion der Sprache, und nutzt diese für die Entwicklung eines vertieften Sozialverständnisses, insbesondere durch Einführung des Fachs „Begegnungssprache“.