Begegnungssprachen
Die Kinder von Zuwanderern können täglich erfahren, wie die deutschsprachigen Kinder etwas besser verstehen können als sie selbst. Sie dürfen somit bewusster erleben, wie sie in eine ihnen zunächst fremde Sprachwelt eintauchen, und allmählich die individuellen Menschen durch den Sprachgeist hindurch verstehen lernen. Diese Erfahrung soll an der Freien Interkulturellen Waldorfschule auch den deutschstämmigen Kindern ermöglicht werden. Deshalb werden diese am Unterricht einer Sprache der Zuwanderer teilnehmen. Das Fach „Begegnungssprache“ erlaubt allen vertretenen Sprachgruppen, in eine fremde Sprachwelt einzutauchen und bewusst wahrzunehmen, wie andere Kinder genau so sicher in einer anderen Sprache bewegen, wie man selbst in der eigenen Muttersprache. Auch das deutschsprachige Kind kann das Erlebnis haben, dass z.B. sein türkischstämmiger Freund plötzlich etwas besser versteht als es selbst. Es wird einen Eindruck davon bekommen, wie sich in Laut, Gebärde und Rhythmus ein ganz anderer Sprachgeist ausdrückt, der die türkischsprachigen Kinder in diesem Augenblick genau so intim miteinander verknüpft, wie die deutsche Sprache die deutschstämmigen Kinder. Es wird die Ambivalenz der Begriffe „fremd“ und „heimisch“ aktiv erfahren, und sich in die Situation der Zuwanderer hineinfühlen können – die Sprache wird zur „Begegnungssprache“.
Hierbei wird man natürlich nicht diktatorisch vorgehen, sondern die vielfältigsten Verbindungen zulassen. Denkbar ist z.B. auch, dass ein serbischsprachiges Kind erfahren möchte, was im Türkischunterricht geschieht, und umgekehrt. Da der Unterricht an der Freien Interkulturellen Waldorfschule Berlin grundsätzlich ohne Notendruck geschieht, ist nicht zu befürchten, dass sich ein Kind genötigt fühlt, tiefer in eine fremde Sprache einzusteigen, als ihm liegt. Vielmehr kann es sich der ihm fremden Sprache unbefangen gegenüberstellen.
Das Fach Begegnungssprache ist für die 3 größten vertretenen Sprachgruppen, und bis zur 3. Klasse vorgesehen. Nach der 3. Klasse wird die „Begegnungssprache“ als Sprachunterricht im engeren Sinn weitergeführt. Dieser ist dann zwar nicht mehr verbindlich, steht aber jedem Kind offen. Es ist also durchaus denkbar, dass auch das eine oder andere deutschsprachige Kind durch die Begegnungssprache neugierig geworden ist, und nun seinerseits etwa die Sprache seines türkischstämmigen Freundes erlernen möchte. Allerdings wird den Sprachen der Zuwanderer ab der 4. Klasse zu Gunsten einer Intensivierung des Deutsch-Unterrichts etwas weniger Raum zur Verfügung gestellt, da nach Erfahrung Freien Interkulturellen Waldorfschule Mannheim die schwierige deutsche Grammatik ab diesem Zeitpunkt größere Aufmerksamkeit verlangt als zuvor.