Der Unterricht

Von den Kindern wird verlangt, in allen Unterrichtsfächern zu Hause zu sein. Bis zur 9. Klasse werden sie in den ersten zwei Schulstunden täglich Umgang mit einem Erwachsenen haben, der mindestens dasselbe leisten muss. Dieser „Klassenlehrer“ beherrscht also Deutsch, Geschichte, Mathematik, Geographie, Geologie, Physik, Chemie und Biologie und viele andere Fächer so weit, dass er die Kinder jeweils bis zum Niveau der 8. Klasse bringen kann. Der Klassenlehrer ist somit nicht nur Vertrauensperson, sondern im wahrsten Sinn des Wortes ein Vorbild. Mit ihm werden die Schüler nacheinander in alle Bereiche des Lebens schauen und miterleben, wie dieselbe Individualität auf dem einen Lebensgebiet ebenso sicher urteilt wie auf dem anderen.


Ein solches Mitgehen mit einem Individuum in die unterschiedlichsten Lebensbereiche weckt das Vertrauen auch in die Allseitigkeit der eigenen Erkenntniskräfte. Und es schafft zugleich Vertrauen in die Integrität der menschlichen Persönlichkeit. Der Klassenlehrer ist in dieser Beziehung gewissermaßen eine Integrationsautorität für die Kinder: Am Vorbild des Lehrers kann der Schüler das Vertrauen entwickeln, dass der Mensch einerseits über die nötigen Kräfte verfügt, sich in die verschiedensten Kulturen einzuleben, andererseits aber deshalb niemals seine Identität einbüßen muss. Dieses zweifache Vertrauen ist eine notwendige Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Völker.


An den „Hauptunterricht“ schließen sich einzelne Fachstunden. Dort vertiefen nun Fachlehrer die Themen des Hauptunterrichts, und behandeln diejenigen Gebiete, die im Hauptunterricht keinen Platz finden können, wie etwa Sprachunterricht oder handwerkliche Fächer. Ab der 9. Klasse wird der „Hauptunterricht“ dann durch einen „Epochenunterricht“ ersetzt. An die Stelle des Klassenlehrers treten Spezialisten für die einzelnen Stoffgebiete. Die Schüler können und sollen sich auf dieser Altersstufe von ihrem Klassenlehrer lösen und sich stärker noch auf Persönlichkeiten einlassen, die es in einem einzelnen Lebensgebiet zu einer besonderen Leistung gebracht haben. Auch diese „Oberstufenlehrer“ dürfen ihr Fach jeweils über mehrere Wochen hinweg gründlich behandeln, so dass der innere Zusammenhang des Stoffes gewahrt bleibt, und eine besonders konzentrierte Arbeitsatmosphäre entstehen kann.


Man kann das in den Mitteln des Hauptunterrichts und Epochenunterrichts zum Ausdruck kommende Ziel so benennen: Was Vertrauen in den inneren Zusammenhang aller Lebenserscheinungen auf der einen, und was Vertrauen in die Kontinuität der menschlichen Individualität auf der anderen Seite ermöglicht, soll gefördert und durch den äußeren Ablauf begünstigt werden. Dieses Grundprinzip der Waldorfpädagogik gewinnt in der Freien Interkulturellen Waldorfschule Berlin eine besondere Bedeutung – wird doch von ihren Schülern erwartet, die einmalige, freie menschliche Individualität auch in den vielfältigsten religiösen und volksmäßigen Zusammenhängen wieder zu finden.