Sprachen

Die Sprache ist mehr als ein Kommunikationsmittel. Aus ihren lautmalerischen Feinheiten spricht die Mentalität eines Volkes, und ihre grammatische Struktur spiegelt den Gang der logischen Gedankenverbindung wieder. Wer den weichen Klangfarben der russischen Konsonanten lauscht, nähert sich der Seelenstimmung des Ostens, wer als Franzose die Freiheit der deutschen Satzstrukturen bestaunt, berührt bereits das Wesen des deutschen Idealismus. Der Sprachforscher erkennt, wie die Bewusstseinsverfassung einer Epoche bis in die einzelnen Silben wirkt, und sieht den Zeitgeist die Spuren der Vergangenheit durch Formen ersetzen, die dem Lebensgefühl der heutigen Menschheit entsprechen. Das Kind aber geht den umgekehrten Weg: es betritt die Menschenwelt durch das Tor der Sprache. Indem es sich in die Sprache einlebt, lebt es den Gefühlen und Empfindungen dieses Volkes nach, bildet es Weltbeziehung und Weltanschauung aus, bis es allmählich den eigenen, individuellen Geist aus dem Sprachgeist herauslösen kann. Je tiefer es in die Sprache eintaucht, desto tiefer verbindet es sich mit seine Mitmenschen, desto mehr überwindet es sein Einzeldasein und wird ein soziales Wesen.